Eimsbütteler Turnverband e. V.
Projektbeschreibung
Die Suchtstation der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) und die Bouldersparte des Eimsbütteler Turnverband e. V. (ETV) kooperieren. Der Sportverein bietet zweimal in der Woche Therapeutisches Klettern und Bouldern im ETV-Sportzentrum Hoheluft – gelegen direkt neben dem UKE am Rande Eppendorfs – an. Bis zu acht Patient:innen der Suchtstation können gleichzeitig das Angebot besuchen. Die Trainer:innen des ETV und das Fachpersonal des UKE betreuen und trainieren die jungen Menschen gemeinsam. In der Regel sind die Patient:innen zwölf Wochen im UKE in Behandlung und können in dieser Zeit bis zu zehnmal das Boulder- bzw. Klettertraining des ETV besuchen.
Dabei wirkt der Sport auf die Patient:innen in mehrfacher Weise. Natürlich regt der Sport vordergründig das Nervensystem an, aktiviert den Körper und lenkt vom Klinikalltag ab. Darüber hinaus ziehen sich die Suchterkrankten vielseitige Motivationen: Sie können sich verausgaben, körperlich spüren, etwas „üben“ und Erfolge verbuchen – manchmal das erste Mal im Leben – wodurch wiederum das Selbstbewusstsein gestärkt und das Selbstwertgefühl gesteigert werden. Die Patienten erlangen Selbstvertrauen, Selbstsicherheit und richten ihren Fokus nicht nur auf sich, sondern gleichbedeutend auf andere.
Denn auch wenn Klettern und Bouldern bis zu einem gewissen Grad Sportarten sind, bei denen auf sich selbst fokussiert und die Konzentration auf sich richtet wird, sind beide Sportarten ohne Partner:in nur bis zu einem gewissen Grad ausführbar. Man sichert sich gegenseitig, gibt sich Tipps, coacht sich und hilft dabei an der Optimierung des Gegenübers. Dadurch üben die Patient:innen den Perspektivwechsel und damit gleichzeitig Empathie. Sie geben aufeinander acht, übernehmen füreinander Verantwortung und unterstützen sich gegenseitig. Eine Erfahrung, die für viele komplett neu ist und die es im bisherigen Alltag nicht gab.
Nach einer ersten Phase des Kennenlernens des neuen Feldes „Kletterhalle“ erfahren die Patient:innen ein ebenfalls für viele neues Feld: sie fühlen sich in dem Metier sicher und klar, können eventuell erste Kletterrouten mit Routine bewältigen und fühlen sich dadurch – im Gegensatz zu ihren früheren Leben – abgeklärt und souverän. Ein großer Schritt in Richtung Inklusion innerhalb der Gesellschaft.
Durch diese Sicherheit in diesem kleinen, fest abgesteckten Rahmen können neue Grenzen definiert und auch überwunden werden. Für viele ebenfalls eine völlig neue Erfahrung, da das Leben vorher in vielerlei Hinsicht schlichtweg überfordernd und beängstigend war. Nun zeigen sie, was sie können, was sie „draufhaben“ und genießen es, zu zeigen, welches Potential in ihnen steckt. Das Mantra „Ich schaffe das“ wird in den Stunden aktiv gelebt und die Begeisterung der Teilnehmenden, wenn eine Strecke, ein Track, geschafft wurde, ist immens. Die dadurch gewonnene Selbstsicherheit kann ein Stück weg mit in den Alltag mitgenommen und konserviert werden.
Viele Patientinnen kannten in ihrem bisherigen Leben vordergründig Negativität, Destruktivität, Ablehnung und Überforderung – und das bei kompletter Strukturlosigkeit. Der Kletter- und Bouldersport gibt ihnen nun wichtiges Handwerkszeug um aus diesem Strudel der Passivität, Aggressivität und Orientierungslosigkeit auszubrechen. Der Sport gibt ihnen nun die Stärke, die Kraft und die Ausdauer – körperlich wie psychisch – sich neu zu sortieren, zu organisieren und die Erfahrung zu machen, dass es ohne Suchtmittel besser geht als mit. Das bisherige Leben der Patient:innen war dadurch gekennzeichnet, dass Stresssituationen kaum bewerkstelligt werden konnte und es keine Regulationsmöglichkeit – außer der Weg in die Sucht – da war. Der Sport hilft ihnen eine neue Möglichkeit der Stressbewältigung – körperliche Bestätigung – kennenzulernen bzw. zu erlernen diese auch im Alltag – außerhalb der Klinik als Instrument bzw. als Medikament einzusetzen.
Das Trainerteam des ETV hat sich auf die für sie neue Aufgabe im letzten Jahr eigens fortgebildet und sich im Bereich „Therapeutisches Klettern“ fortgebildet. Die größten Herausforderungen für die Trainer:innen in der Arbeit mit Sucht- und psychisch Erkrankten sind die mitunter ungewöhnlichen und in den Augen der Trainer:innen überraschenden Emotionen wie Aggressivität und Lethargie sowie unvorhersehbare Gewaltausbrüche. Mit der Fortbildung ist das Trainerteam besser auf diese Situationen vorbereitet, kann sie besser verstehen und dadurch besser begleiten und deeskalierend reagieren.
Perspektive
Die Kooperation dieser beiden Hamburger Institutionen ist nun anderthalb Jahr alt, die Erfolge sind für beide Partner so eindeutig und in jeder Stunde spürbar, dass der dringende Wunsch besteht, die Kooperation von zwei bisherigen Stunden pro Woche weiter auszubauen.
Bisher trainieren zwei Gruppen: „TK“ / Sucht, diese sollen erweitert werden mindestens auf die Gruppen „Kinder“ (bis 12 Jahre), „Jugend“ (bis 18 Jahre) und „Adoleszenz“ (19/20 Jahre). Dafür werden finanzielle Mittel benötigt um
– Die Miete der Kletter- und Boulderhalle beim ETV zu finanzieren
– Die Trainer:innen des ETV zu bezahlen
– Weitere Trainer:innen des ETV im Bereich „therapeutisches Klettern“ weiterzubilden
– UKE-Fachpersonal als Hilfstrainer im Bereich Bouldern und Klettern fortzubilden
– Des weiteren ist geplant, weitere niedrigschwellige Sportarten, die der ETV anbietet, ebenfalls für die Patient:innen zu öffnen. Angedacht sind hier zum Beispiel Tischtennis, Fußball, Pickleball oder Fitnessboxen.